Bücher

„Der Goldene Schamane“ Roberto Lima Netto

Hardcover, 208 Seiten, 19,90 €
ISBN 978-3-938022-04-7, erhältlich im Buchhandel oder
direkt beim Schopf-Verlag unter info(at)lebenundlesen.de oder Tel: 0049-(0)7531-699511

Infos:
William, der Protagonist des Romans, stürzt mit seinem Privatflugzeug mitten im brasilianischen Regenwald ab. Er überlebt schwer verletzt, hat jedoch sein Gedächtnis verloren. William wird von Indios gefunden, gesund, gepflegt und zum Schamanen ausgebildet. Im weiteren Verlauf werden die Konfrontationen zwischen Spiritualität, Schamanismus, Leben im Einklang mit der Natur und den Verlockungen des schnellen Geldes und Goldes, Raubbau am Regenwald und illegalem Drogenhandel aufgezeigt. William lernt die Höllenseiten des scheinbaren Paradieses kennen. Letztendlich findet er eine Lösung für die Konflikte, gibt sich dem, was er tut, ganz hin und wird so groß wie seine Träume. Er hat eine Idee, die vielleicht das Leben des ganzen Amazonasgebietes revolutionieren wird. Lassen auch Sie sich von Williams Idee, von seinem „Großen Traum“ inspirieren.
Dem brasilianischen Autor ist es mit seinem Roman gelungen einerseits auf die Regenwaldproblematik aufmerksam zu machen und andererseits auf die Wichtigkeit von Spiritualität.
Vom Verkauf des Buches geht 1 Euro ans Regenwaldschutzprojekt POEMA, das am 19. Dezember 2008 den Stuttgarter Friedenspreis erhalten hat.
Leseprobe:
7. Kapitel – Eine Reise mit fatalen Folgen
Es ist neun Uhr morgens, als ich in mein Flugzeug steige und sorgfältig die nötigen Sicherheitskontrollen durchführe. Mir fällt auf, wie bequem der Pilotensitz ist und wie angenehm der Duft im Cockpit. Ich erhalte die Starterlaubnis, und in weniger als einer Minute schwebe ich mit dem „Goldenen Adler“ in die Luft.
Es ist ein herrlicher Morgen, mit einem wolkenlosen, strahlend blauen Himmel. Meine Hände fühlen sich gut an auf der Steuerung, während das Flugzeug rasch an Höhe gewinnt. Goldener Adler ist der Name, den Vera und ich unserem Flugzeug gegeben haben, einer gut ausgestatteten Piper Seneca mit Autopilot und modernsten Fluginstrumenten. Ihre normale Geschwindigkeit auf 3000 Metern Höhe beträgt etwa 330 Kilometer pro Stunde. Die Reise nach Brasília wird ungefähr drei Stunden dauern mit einem einzigen Zwischenhalt zum Tanken. Der restliche Flug bis zum Landhaus dauert knapp vier Stunden. Die Sonne steht nicht mehr im Zenit. Ich hätte früher von Rio abfliegen sollen. Mein Kopf fühlt sich schwer an. Das Brummen der Motoren ist für viele nur Lärm. Für mich ist es ein süsser Klang in den Ohren, ein einlullendes Schnurren. Ich schliesse die Augen. Etliche Gedanken tauchen in meinem Kopf auf, wohin mich das Leben führen wird bezüglich Arbeit, Lebenspartnerin, Liebe.
Ich schalte das Flugzeug auf Autopilot und nutze die Gelegenheit, um mit meinem Schutzgeist zu sprechen. Ich entspanne mich, beginne zu meditieren und rufe nach meinem inneren Führer. Shuo Kua ist ein alter chinesischer Weiser, mit tiefgründigen, schwarzen Augen und einem freundlichen, ruhigen Lächeln. Er hat das Gesicht eines Menschen, der viele Dinge auf dieser Welt durchlebt hat und vieles weiss. Er hat Jahrhunderte von Lebenserfahrung hinter sich. Für mich ist er wie ein Grossvater. Im Gedanken beginne ich mich mit ihm zu unterhalten: „Shuo Kua, ich mag Vera. Seit ich sie kenne, geht es mir viel besser. Ich denke darüber nach, sie zu fragen, ob sie mich heiraten will. Was hältst du davon?”
„Wenn du über einen Fluss springen willst, musst du zuerst das Ufer erreichen. Sonst könntest du dir die Füsse nass machen.”
„Immer diese Metaphern! Bitte antworte so, dass ich es verstehe. Soll ich Vera nun heiraten oder nicht?”
„Du bist immer so rational. Ich werde dir eine objektive Antwort geben. Ich denke, es ist besser, wenn du damit ein bisschen wartest. Du musst spirituell noch etwas wachsen.”
„Ich kann auch nach der Hochzeit spirituell weiter wachsen. In wenigen Stunden werde ich das Landhaus erreichen. Ich möchte ihr gerne den Antrag beim Abendessen machen.”
„Du hast einen freien Willen. Wenn du dich bereits entschieden hast, warum fragst du mich dann noch?”
„Na ja, es ist eine lange Reise, und ich will mich ein wenig mit dir unterhalten. Ich unterhalte mich immer gerne mit dir.“
„Vor allem, wenn du nichts Besseres zu tun hast, nicht wahr? Nun, wenn du reden willst, dann lass uns reden. Warum bist du dir so sicher, dass du Vera heute Abend sehen wirst?”
Ich verstehe nicht, welcher Sinn sich hinter dieser Frage verbirgt. Wahrscheinlich ist es irgendein Rätsel. Shou Kua ist Chinese. Er denkt anders als ich.
„Ich bin auf dem Weg zu Veras Landhaus. In wenigen Stunden werde ich dort landen.”
„Das Leben ist viel komplexer als du denkst.”
„Was meinst du damit?”
„Genau das, was ich gesagt habe.”
„Ich gebe zu, dass ich ein sinnloses Leben führte und nur von einer Party zur nächsten eilte. Aber ich habe mich bereits verändert.“
„Willst du mir etwa erzählen, dass du deinen leichtlebigen Lebensstil aufgegeben hast? Seit wann denn? Etwa seit gestern?”
Diese Bemerkung beschämt mich.
„Gestern war ich leichtsinnig. Schliesslich kann man nicht immer perfekt sein.”
„Perfekt?“
„Wie du gerade gesagt hast, habe ich einen freien Willen. Ich werde Vera heute fragen, ob sie mich heiraten will.
„Vielleicht hat Gott andere Pläne mit dir.”
„Welche Pläne?”
„Vielleicht hält er eine Überraschung für dich bereit.”
„Eine Überraschung? Du beunruhigst mich. Ich mag keine Überraschungen.”
„Da spricht wieder der Ingenieur. Ich habe dir bereits gesagt, dass das Leben nicht rational verläuft. Der Herr legt uns oft Hürden in den Weg, die uns zwingen, an ihnen zu wachsen.”
„Wenn ich Vera heirate, fange ich ein neues Leben an.”
„Es gibt Menschen mit Ohren, die weniger hören als Taube. Ich möchte dir einen Gedanken mitgeben: Der Adler fliegt nur so hoch, weil er weiss, wie er wieder landen kann.”
„Meinst du damit etwa mein Flugzeug, den Goldenen Adler?”
„Ich überlasse es dir, wie du diese Worte auslegst. Sie können, wie die moderne Kunst, auf verschiedene Arten interpretiert werden. Ich habe versucht, mit dir auf westliche Weise zu reden, doch es hat nichts gebracht. Also rede ich wieder auf meine Weise. Vergiss nicht, wenn du über einen Fluss springen willst, musst du zuerst das Ufer erreicht haben.”
„Das hast du mir bereits gesagt.”
„Und du hast mir nicht zugehört.”
In diesem Moment werde ich von Turbulenzen abgelenkt. Sie schütteln das Flugzeug, als es durch eine Wolke fliegt. Als ich mich wieder an meinen Schutzgeist wenden will, ist er fort. Ich denke weiter nach über das, was mir Shuo Kua gerade gesagt hat. Warum bin ich nach der Party noch mit zu Isabel gegangen? Jetzt muss ich gegen die Müdigkeit ankämpfen… und das sanfte Brummen der Motoren hört sich an wie ein Wiegelied.
Ich befinde mich mitten im Urwald. Die Erde wird zerstört. Um sie zu retten, muss ich einen sehr weisen und mächtigen Schamanen finden, der den Dingen wieder ihre natürliche Ordnung geben kann. Es gibt fürchterliche Mächte, die mich daran hindern wollen. Die Dämonen wollen mich töten, um über die Erde zu herrschen.
Ich gehe hin und her. Ich weiss nicht, was ich tun soll, um den Retter zu finden, der die Erde vor ihrem Untergang bewahren kann. Ein grosser schwarzer Jaguar kommt auf mich zu. Ich habe Angst. Aber er will mir nur eindringlich etwas sagen.
„Du musst die Erde retten.”
„Ich? Warum ich?”
„Du musst schnell handeln. Zuerst werden sie die guten Menschen töten. Nur die schlechten werden überleben. Und bevor die Menschheit vernichtet wird, werden sie alle Tiere des Urwalds ausrotten.”
Das erschüttert mich.
„Was kann ich denn tun?”
„Du musst den Schamanen finden.”
„Wo kann ich ihn finden?”
„Folge mir. Ich werde dich zu ihm bringen.”
Wir betreten den Urwald und sind von mächtigen Baumriesen umgeben. Stundenlang laufen wir zu ihren Füssen, bis wir zu einer Lichtung gelangen, auf der sich eineHütte befindet. Sie hat eine zylinderförmige Konstruktion und ein Dach aus Blättern. Rauch tritt oben aus einer Öffnung im Dach heraus und steigt in einer beinahe senkrechten Säule zum Himmel. Auch aus der Tür kommt sehr viel Rauch heraus. Ich höre ein rasselndes Geräusch. Jemand ist in der Hütte. Der Jaguar bleibt stehen und wendet sich zu mir: „Hier ist der Weg für mich zu Ende. Du musst allein weitergehen.”
„Was ist da drin? Was muss ich tun?”
„Du bist ein weisser Mann. Du bist verantwortlich für die Zerstörung der Erde. Tu, was immer du tun kannst.”
„Hilf mir, bitte!”
In diesem Moment verwandelt sich der Jaguar in einen strahlenden goldenen Vogel und fliegt der Sonne entgegen. Ich versuche die Hütte zu erreichen. Aus ihr weht ein starker Wind, der es mir unmöglich macht, mein Ziel zu erreichen.
Ich weiss, dass ich mein Bestes versuchen muss, um die Erde zu retten. Ich krieche auf allen Vieren und gelange in die Nähe der Hütte. Plötzlich hört der Wind auf, und ich kann hineingehen. Ein Indio mittleren Alters sitzt in ihr und scheint in Trance zu sein. Er gibt einen monotonen Singsang von sich und schüttelt seine Maracá. Dieses Instrument ist mit Pflanzensamen gefüllt, die beim Schütteln das rasselnde Geräusch verursachen.
Ich brauche einige Minuten, bis sich meine Augen an die Dunkelheit in der Hütte gewöhnen. Der Rauch füllt den Raum vollständig aus. Es riecht stark nach Kräutern.
Der Indio blickt auf und deutet mit seinen Händen einen orientalischen Gruss an. Ich spreche zu ihm.
„Ich brauche deine Hilfe.”
„Das weiss ich.”
„Die Erde wird zerstört. Nur ein weiser und mächtiger Schamane kann mir helfen.”
Er hält einige Augenblicke inne und schaut mich direkt an. Dann spricht er mit einer melodiösen Stimme: „Die Erde wird vom weissen Mann zerstört. Doch nur der weisse Mann kann die Erde retten. Wir Indios sind schon lange ausgelöscht worden. Ich bin nur ein Traumbild, eine Illusion.”
Er beginnt sich in Rauch aufzulösen. Seine Beine und ein Teil seines Rumpfes sind bereits verschwunden. Ich versuche, ihn festzuhalten, um seine Auflösung zu verhindern. Leider erfolglos und ich beginne zu schreien: „Muss ich die Erde alleine retten? Was kann ich tun, damit mir dies gelingt?”
„Solange der materielle Wohlstand wichtiger ist als das Überleben unseres Planeten, wird niemand unsere Erde retten können.”
Verzweifelt und den Tränen nahe schreie ich weiter: „Hilf mir! Was muss ich tun, um die Menschheit zu überzeugen, dass es wichtiger ist, die Erde zu schützen, als reich zu werden?”
„Um die Menschheit zu überzeugen, musst du erst einmal dich selbst überzeugen. Rette dich selbst, dann kannst du daran denken, die Erde zu retten.”
„Was muss ich tun? Sag es mir!”
Ich erhalte keine Antwort. Der Indio löst sich vollständig in Rauch auf, der durch das Loch im Dach der Hütte steigt und sich im Himmel verliert.
Das laute Summen des Tank-Alarms reisst mich aus dem Schlaf. Das GPS zeigt, dass ich meinen Zielort längst überflogen habe. Unter mir befindet sich dichter Dschungel. Ich begreife, dass ich mich in einer brenzligen Situation befinde, denn ich habe nur noch für etwa dreissig Minuten Treibstoff. Über Funk versuche ich Kontakt aufzunehmen, das funktioniert leider nicht. Verzweifelt halte ich Ausschau nach einem geeigneten Ort für die Landung und sehe in der Ferne einen grossen See. Ich drehe das Flugzeug in seine Richtung und beginne ihn anzufliegen. Im letzten Moment ändere ich meine Absicht. Ich erinnere mich an den Fall eines Piloten, der von Piranhas aufgefressen wurde, nachdem er auf einem See im Amazonasgebiet notgelandet war. Ich ziehe am Steuerknüppel, und das Flugzeug beginnt, wieder zu steigen und den wertvollen Treibstoff aufzubrauchen. Ich fliege weiter und glaube, rechts neben mir einen anderen, viel kleineren See zu erkennen. Vielleicht wird es mir gelingen, in der Nähe des Ufers zu landen. Ich habe keinen Treibstoff mehr. Ich muss es versuchen.