Bücher

Geschichten aus dem Muschelregal (von Sieglinde Schopf)

September 2009, Hardcover, 192 Seiten, 16,90 €
 Buch: ISBN 978-3-938022-05-4
 
Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Schopf-Verlag
unter info(at)lebenundlesen.de Telefon +49-(0)7531-699511

 

 

Nehmen Sie teil an Begegnungen in meinem Leben, an welche ich bei einem Blick auf mein Muschel- und Sammelsurium-Regal im Wohnzimmer erinnert werde, sowohl heitere und zum Schmunzeln anregende Geschichten, als auch solche, die zum Nachdenken und Besinnen anregen. Kurzgeschichten über Menschen und andere Lebewesen, Gefühle, Naturgewalten und Sonstigem, das mir begegnete und in Erinnerung bleiben soll.
Geschichten aus der Heimat und der Ferne, geschrieben während oder im Anschluss zahlreicher Reisen. Verreisen ist meine große Leidenschaft, auch, wenn ich gerne wieder zurückkomme. Denn in Konstanz, in der Villa am See, bin ich angekommen, hier ist mein Zuhause.
„So viele Muscheln und Steine! Hast Du die alle selbst gesammelt?“ lauten die spontanen Worte neuer Besucher meiner Wohnung. Nach dem Bejahen der Frage folgt unverzüglich die zweite: „Weißt Du noch, wo Du die alle gesammelt hast?“.
Auch darauf kann ich eine positive Antwort geben.
Dieses Frage und Antwort-Spiel findet vor dem massiven Holzregal in meinem Wohnzimmer statt, mit beachtlichen 2,5 Metern Höhe und 3 Metern Breite, unterteilt durch 5 Längsbretter und 40 Querbretter. Diese sind übersät mit Mitbringseln aus aller Welt, vorwiegend in Form von Muscheln und Steinen: ein riesiges Sammelsurium. 
Erst, nachdem meine neuen Besucher einige Minuten staunender Weise vor diesem Regal verbracht haben, drehen sie sich um und ihnen fällt der herrliche Ausblick auf den Bodensee und die Schweizer Bergwelt auf. Dann wird ihnen der nächste positive Schock versetzt und es folgt standardmäßig die nächste Frage: 
„Wie kommt man denn an eine so tolle Wohnung?“ Ich erzähle jedes Mal aufs Neue, geduldig, als wäre es zum ersten Mal, dass diese Wohnung just zu der Zeit frei wurde, als ich eine suchte. Sie stand im Wohnungsanzeigenteil des SÜDKURIER. Ganz normal, wie jede andere Wohnung auch. Ich hatte einfach ein wenig Glück, sie zu bekommen. Die Wohnung entsprach genau meinen Wünschen und Vorstellungen: hohe, helle Räume, großes Wohnzimmer, kleiner Balkon, ruhige Lage und viel Platz im Keller. Vor allem die Lage ist Gold wert.
Beim Stichwort „Gold“ schweifen meine Gedanken ab, an einen Gegenstand im Muschelregal: das kleine Schraubglas mit dem schwarzen Verschluss. Erinnerungen werden wach. Ich denke an Fred und Wendy in Hokitika, an der Westküste der neuseeländischen Südinsel gelegen. Sie haben mir den darin befindlichen Cent großen Goldfund aus ihrer Mine geschenkt. Einfach so. Nein, das stimmt nicht! „Zur Erinnerung“ sagten die Beiden. Und …  es scheint zu funktionieren!
Ich erinnere mich durch die Muscheln und Steine an Geschichten, Begebenheiten und Menschen. Ich greife ins Regal und nehme das kalte Glasgefäß in meine warmen Hände. Bilder laufen vor meinem geistigen Auge ab, wie ein Film, ein Farbfilm. Ich sehe alles ganz klar und deutlich: das Kennenlernen von Fred und Wendy in dem überfüllten Pub an der neuseeländischen Südwestküste, ihre Einladung ins traute Heim, den Besuch ihrer Goldmine, die gemeinsame Bootstour auf dem königsblauen Lake Kanieri. Unvergessliche Momente …
Auch die irisierend leuchtend türkisblaue Avalone Muschel oder Paua-Shell, wie die Einheimischen sie zu nennen pflegen, weckt Erinnerungen an Neuseeland. An die Bucht im Norden, an die muschelübersäte Spirits Bay, an die stämmigen, großwüchsigen Maori, die mir auf feurigen Hengsten entgegen geritten kamen. 
Die blaue Glasscherbe ist nicht irgendeine blaue Glasscherbe. Für mich ist sie eine ganz besondere. Eine blaue Glasscherbe, die eine Geschichte hat.
Ich greife zur Sandrose, dem bizarren beigefarbenen Gipsstück. Halte es in meiner rechten Hand, streiche mit meinem linken Zeigefinger darüber und spüre dabei die scharfen Kanten des Gesteins. Ich denke an den Ort, wo ich die Sandrose gefunden habe, an die tunesische Sahara, an die Tour mit Dromedaren und Nomaden. 
Ich blicke erneut ins Regal und versuche meine Gedanken zu sortieren. 
Viele Erinnerungen werden auf einmal wach…
Ich begebe mich auf Reisen in die mehr oder weniger weit zurückliegende Vergangenheit und möchte Sie dazu einladen, mich zu begleiten…
Die Geschichte mit der blauen Glasscherbe werde ich Ihnen jedoch erst am Ende dieses Buches verraten.
Leseprobe:
1. Kapitel: Gastfreundschaft
Per Anhalter mit Jim 
Ich stehe, wie bestellt und nicht abgeholt, an der einsamen Straße in Richtung Tongariro Nationalpark, mitten im Nichts, auf der Nordinsel Neuseelands. Hier hat mich mein letzter Fahrer abgesetzt, ist rechts abgebogen, in eine andere Richtung und damit meinem Blick entschwunden. Es wird langsam dunkel und mit zunehmender Dunkelheit schwindet meine Hoffnung, von diesem Fleckchen Erde am heutigen Abend per Anhalter weg zu kommen.
Das Glück ist jedoch auf meiner Seite. Ein altes Auto, mit einem x-mal älteren Fahrer am Steuer, hält neben mir. Der etwas schrullig aussehende Mann bietet eine Mitfahrgelegenheit für einige Kilometer an. Ich schwinge mich schnell samt Rucksack ins Auto, bevor es sich der Fahrer womöglich anders überlegt. Mein netter Retter hinter dem Lenker heißt Jim. Er trägt etwas schäbige beigefarbene Cordhosen und ein rot-weiß-kariertes Hemd, an welchem der oberste Knopf fehlt. Auf seiner Nase prangt eine Brille mit dicken Gläsern, welche die dahinter liegenden Augen, wie die einer Eule erscheinen lassen. Seine dünnen weißen Haare stehen auf Sturm, sind aufrecht gen Autodach gerichtet, wie elektrisiert, wie ganz dünne Antennen. Er lächelt und ich bemerke dabei das ausgeprägte Grübchen auf seiner linken Wange. Er umklammert mit beiden furchigen, flaumig weiß behaarten Händen fest das Steuer, um nicht von der schottrigen Straße abzukommen. Jim fängt ein Gespräch an, mit den allgemein üblichen Fragen, woher ich komme, wie lange ich schon unterwegs bin, ob ich keine Angst habe, alleine zu trampen. Dann lädt er mich auf eine Tasse Tee, in seine friedliche Villa aus weiß gestrichenem Holz ein. Sie ist umgeben von einem Grundstück, das einem Botanischen Garten gleicht: Rosen mit riesigen gelben, weißen und dunkelroten Blütenköpfen, blasslila üppig wuchernde Azaleen, Hibiskus, die ihren gelben Stempel in die Luft strecken und von Schmetterlingen umkreist werden. Giftgrüne Sittiche mit roten Streifen an den Köpfen, tummeln sich in einer riesigen Volière. Mir erscheint Jims Zuhause wie ein kleines Paradies. Im Verlauf unserer Gespräche stelle ich fest, dass dieses Fleckchen Erde sein ganzer Stolz ist. Ich fühle mich hier bei Jim auf Anhieb wohl. Ein Plätzchen, wo ich gut und gerne ein paar Tage verweilen könnte. In der gemütlichen Küche bleibt es nicht nur bei der versprochenen Tasse Tee. Jim stellt einen großen Teller voll Sandwiches auf den Tisch, direkt vor meinen knurrenden, hungrigen Magen. Meine Augen werden groß und mein Appetit auf einmal noch größer, als er ohnehin schon ist. Der alte Junggeselle fordert mich zum Zugreifen auf. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Jim bedauert, dass er keine Zeit hat, für uns zu kochen. Das sei eigentlich eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Heute Abend ist jedoch jener Sonntag im Monat, an welchem er ein klassisches Konzert für Nachwuchskünstler organisiert. Ich werde beim Stichwort „Konzert“ hellhörig. Nach all meinen Streifzügen durch die neuseeländische Wildnis, bin ich kulturell ein wenig ausgehungert. Als Jim mich fragt, ob ich ihn begleiten möchte, habe ich lediglich Bedenken, wegen passender Kleidung für dieses Ereignis. Jim meint, dass ich garantiert ein „kleines Schwarzes“ im Rucksack hätte. Diesbezüglich muss ich ihn jedoch enttäuschen. Mein Kleidungsbestand ist während der letzten Wochen auf das Allernötigste geschrumpft: eine Jeans, eine kurze Hose, ein Pullover, zwei T-Shirts, Unterwäsche, Socken und nur noch ein Paar Schuhe, meine Wanderschuhe. Ein Kleid hat übrigens noch nie zum Innenleben meines Rucksacks gehört.
Ich komme trotzdem mit. Wozu ist unbedingt schicke Kleidung notwendig? Nur, um nicht aufzufallen? Wegen der anderen Leute? Die sind mir relativ egal. Ich werde sie in meinem Leben wahrscheinlich kein zweites Mal zu Gesicht bekommen. Und auffallen… das werde ich ohnehin. Also: was soll die Gedankenmacherei und Kostümierung?
Jim, frisch rasiert, im schwarzen Anzug, weißem Hemd, silbergrauer Krawatte und ich, in Jeans, blau-weiß-kariertem Wanderhemd und Wanderschuhen. Als ungleiches Paar befinden wir uns wenig später in der Rot-Kreuz-Halle von Wanganui. Jim ist als Conférencier tätig und stellt in einer einleitenden Rede alle Mitwirkenden bei dieser Veranstaltung vor. Zu meiner Überraschung erwähnt er auch die Anhalterin, die er heute, auf dem Nachhauseweg mitgenommen hat: Siegi aus Deutschland. Ich werde mit Applaus empfangen, erhebe mich von meinem Platz in der letzten Reihe, verbeuge mich kurz und bekomme dabei, als weitere Überraschung, einen hochroten Kopf.
Zum Glück fährt Jim mit seinem Programm fort. Auf diesem steht zunächst ein Trio (Cello, Klavier, Querflöte), mit französischer Musik aus dem 16./17. Jahrhundert. Es folgen zwei junge Orgelspieler, die „Ballade pour Adeline“ und „Yesterday“ aufführen. Ein junger Kaplan singt ein Tenorstück und eine Dame „Sah ein Knab ein Röslein stehn“, in Deutsch. Es folgen noch weitere Stücke, die von den jungen Talenten gekonnt vorgetragen werden. Am Ende des Abends folgt Small-Talk bei Tee und Keksen, mit den obligatorischen Fragen, wie mir Neuseeland gefällt, wie lange ich schon unterwegs bin, blablabla. 
Jim ist wirklich ein sympathischer, galanter, alter Mann. Er schlägt mir vor, bei ihm zu übernachten. Dankbar und unbesorgt nehme ich sein Angebot an. Ein Alternativprogramm habe ich sowieso nicht parat.
Am nächsten Morgen werde ich von Jim geweckt. Er hat in der Küche ein leckeres Frühstück gezaubert, bestehend aus Tee, Toast, selbst gemachtem Kiwi-Früchte-Aufstrich und halbierten rosa Grapefruit. 
Leider muss ich im Laufe des Vormittags Abschied nehmen. Ich möchte noch weiter zum Tongariro Nationalpark, um dort einen mehrtägigen Wanderweg zu laufen.
Jim lässt es sich nicht nehmen, mir ein Lunchpaket mitzugeben, bestehend aus selbstgebackenem Kuchen und Äpfeln aus seinem Garten. Beim Abschied drückt er mir einen ovalen, geschliffenen Jadestein in meine Hand, mit den Worten „God bless you“.
Inzwischen sind 20 Jahre vergangen. Vor 10 Jahren ist Jim gestorben. Es gibt Menschen, die ich nie vergessen werde. Sie leben in meinem Herzen weiter. Jim gehört dazu.

Fanpost

"Ich habe das Buch verschlungen! Es ist toll geschrieben, spannend, mal humorvoll, mal tiefgründig. Es motiviert, immer weiter zu lesen. Supergute Unterhaltung!"

"Mir gefiel das Buch schon vom ersten Eindruck her: die Aufmachung des Einbandes und auch der Titel. Im Inneren entdeckte ich einen richtigen kleinen Schatz, den ich genüsslich im Kopf und im Herzen zergehen ließ. Das Buch weckt die Reiselust und ich hoffe auf einen Folgeband."